In den letzten Tagen habe ich so viele Rückblicke und Würdigungen der vier Dekaden „Grüne“ gelesen, daß ich es schon singen kann.
Da ich zufällig in einem Alter bin, in dem ich fast die gesamte Geschichte aufmerksam verfolgte, staune ich immer noch etwas darüber mit welcher Selbstverständlichkeit sich heute Grüne und CDU aneinanderwanzen. Ich erinnere noch sehr gut, mit welchem abgrundtiefen Hasse der ewige CDU-Vorsitzende und Endlos-Bundeskanzler Kohl auf die Grünen im Bundestag reagierte. Kohl, der damals erklärte, es wäre sicher, in zwei Jahren habe sich der Spuk erledigt, die Grünen würden sich auflösen und „zur SPD rübermachen“.
Die unglaubliche Empörung, die auf Joschka Fischers erste Ernennung zum Landesminister losbrach. Die gesamte JU-Fraktion meiner Schule lief Amok, prophezeite den völligen ökonomischen Exitus Hessens.
Die ersten Grünen des Jahres 1980 waren eine wirklich im besten Sinne des Wortes „bunte Truppe“, in der sich die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kräfte zusammenfanden, um basisdemokratisch, feministisch und sozial ökologische Politik zu machen. Dieser Zusammenschluss war eine enorme Errungenschaft und natürlich konnte es nicht ausbleiben, daß bei so vielen Partikularinteressen in einer derart heterogenen Partei im Laufe der Jahre immer wieder Gründungsmitglieder nach Links und rechts absprangen, mit dem aktuellen Kurs haderten.
Wirklich spektakulär ist es eher, daß der ursprünglich ganz linke Hamburger Landesverband der Grünensich im Laufe der Jahren konsequent und ohne zu mäandern nach rechts bewegte und im Jahr 2020 viel konservativer als SPD oder FDP fest an der Seite der CDU steht.
Demoskopisch ist der neue Rechts-Kurs der Elb-Grünen ein voller erfolgt. Man bewegt sich auf die 30%-Marke zu und könnte bei der Bürgerschaftswahl 2020 stärkste Partei werden.
Auch im stramm rechten CDU-affinen Landesverband Baden-Württemberg funktioniert dieser Kurs; bei den Landtagswahlen am 13.03.2016 holte der Autoindustrie-freundliche, erzkatholische und flüchtlingskritische Winfried Kretschmann, der bekundete jeden Tag für Angela Merkel zu beten stolze 30,3%; Ende 2019 wurden sogar bis 38% für die Grünen in BWdemoskopisch ermittelt.
Ein sehr ähnliches Bild gibt es in Hessen; auch der dortige Landesverband ist extrem nach rechts gerutscht, harmoniert prächtig mit der nationalkonservativen Hessen-CDU und schickt sich an stärkste Partei des Landes zu werden.
Die frommen und nationalen Grünen auf Erfolgskurs.
Heute werden skandalöse marktradikale Grünen-Vorschläge ohne irgendein bemerkbares Murren ventiliert.
Bestes Beispiel dafür ist der Grünenpapier zu den Arzneimittelengpässen.
Wie immer mehr Medien seit Jahren berichten, haben Apotheken mehr und mehr Schwierigkeiten alle benötigten Präparate für Kassenpatienten zu besorgen.
[…..] Dr. Michael Baehr ist an einer der modernsten Kliniken Deutschlands für den zentralen Arzneimitteleinkauf verantwortlich. Täglich versucht er, solche wichtigen Arzneien bei verschiedenen Pharmahändlern einzukaufen – und das weltweit. Doch immer öfter stoßen Ärzte und Apotheker an ihre Grenzen, weil wichtige Medikamente einfach nicht lieferbar sind. Dieses Problem trifft alle Patienten, egal ob im Krankenhaus oder in der öffentlichen Apotheke, Baehr. Er kämpft täglich darum, die benötigten Arzneien zu bekommen und momentan ist es wirklich brisant. Diese Situation ist Baehr in einem Industrieland wie Deutschland unverständlich. […..]
274 Medikamente sind derzeit nicht lieferbar, weil die raffgierigen Pharmakonzerne in völlig unverantwortlicher Weise nur sehr viel teurere Alternativen zur Verfügung stellen.
Die Unterschiede sind gewaltig.
Meine Eltern gehörten zu den über eine Millionen Menschen, die dauerhaft Blutverdünner nehmen mussten.
Das Mittel der Wahl – damals: Phenprocoumon = Rattengift. Bekannter unter dem Namen Marcumar.
Preis: 98 Stück für 12,50 Euro.
Da man oft nur eine Viertel Tablette am Tag braucht, reichen diese 12,50 Euro für ein ganzes Jahr.
Der alte Herr, den ich betreue, bekommt seit zwei Jahren statt Marcumar das moderne Mittel Xarelto zur Blutverdünnung.
98 Stück Xarelto 20mg von Bayer kosten 320,80 Euro; man muss immer eine am Tag nehmen. Das sind knapp 1.200,- im Jahr, also nahezu exakt der hundertfache Verdienst für die Pharmaindustrie.
Der Plan der Grünen dagegen: Brummt die Verhundertfachung der Kosten den Kassenpatienten auf und schont dafür die Privatpatienten und schont insbesondere die Pharmariesen!
[…..] Die in dieser Woche bekannt gewordenen Pläne der Grünen, wie die Lieferengpässe in der Arzneimittelversorgung bekämpft werden könnten, stoßen auf Kritik. Der renommierte Wissenschaftler Gerd Glaeske hält die Ideen für »wenig durchdacht«. Mindestens 274 Medikamente gelten derzeit als nicht lieferbar, darunter Krebsmittel und Antidepressiva. Nach dem Willen der Grünen sollen Krankenkassen die Mehrkosten der Patienten für Ausweichpräparate übernehmen. »Warum sollten Versicherte mit ihren Beiträgen dafür aufkommen, dass Pharmaunternehmen nicht liefern können und teure Alternativen notwendig werden?«, so Glaeske, der Apotheker ist und an der Universität Bremen forscht. »Dies ist für mich ein völlig unnötiger Schutz der Pharmabranche, die zu den profitabelsten überhaupt gehört.« Die Konzerne sollten vielmehr die Kosten für Ersatzpräparate tragen. In dem Papier heißt es zudem, der Arzneimittelgroßhandel solle Probleme an eine Art Engpassregister melden. Das ergebe wenig Sinn, so Glaeske. Die Krankenhäuser, die hauptsächlich von den Lieferengpässen betroffen seien, würden ihre Medikamente in der Regel nicht nur über den Großhandel einkaufen, sondern auch direkt bei Herstellern. […..]
(DER SPIEGEL Nr 03/20, 11.01.20, s.63)
Dreisteren Pharmalobbyismus gibt es noch nicht mal bei dem klassischen Privatkrankenkassenverband FDP.
(Unnötig zu erwähnen, daß Jens Spahn nicht handelt.)
(Unnötig zu erwähnen, daß Jens Spahn nicht handelt.)