Also, die No-Grokoler haben knapp die Parteitagsabstimmung verloren.
Eine Mehrheit von 362 der 642 Delegierten stimmte für die Aufnahme von Groko-Verhandlungen, 280 konnten sich nicht zu einem „Ja“ durchringen.
Dabei hatte Juso-Chef Kevin Kühnert, der eigentliche Gewinner des Dramas, wieder einmal von Martin Schulz‘ Unfähigkeit profitieren können.
Nach der endlosen Fehlerkette im Wahlkampf, den absurden Personalien nach dem 24.09. und der katastrophalen Parteitaktik nach der Wahl, stümperte sich Schulz auch noch mehr schlecht als recht durch die Sondierungsverhandlungen, ließ sich mehrfach von der Union übertölpeln und hatte nun immer noch nicht verstanden worin die Unzufriedenheit der SPD-Mitglieder liegt.
Gabriel hatte Merkel 203 1kategorisch als Koalitionsvoraussetzung zwei SPD-Leuchtturmprojekte abverlangt (Mindestlohn und Rente mit 63 – beides Dinge, die Merkel zuvor kategorisch ausgeschlossen hatte) – und damit eine griffige Werbeformel für die Sozis. Trophäen, die er als Narrativ verwenden konnte. Klar verständliche Pro-Groko-Argumente.
Wischiwaschi-Martin hingegen formulierte mit seiner hoffnungslos überforderten Fraktionschefin ein Dutzend „essentielle“ SPD-Anliegen, die aber logischerweise nicht alle gegen die Unionsmehrheit durchgesetzt werden konnten, so daß am Ende der Eindruck blieb, Schulz wäre bereit bei allem nachzugeben.
In klassischer Fall von Verschlimmbesserung. Im Bemühen sich bei der Parteibasis beliebt zu machen, legte er CDU und CSU einen endlosen Forderungskatalog vor. Am Ende bleib der Eindruck, er habe zu viel nachgegeben.
Besser wäre es gewesen viel weniger zu verlangen, am besten auch nur zwei Punkte, zB Familiennachzug und Millionärssteuer; dabei aber absolut kompromisslos zu sein, so daß er klare Siege zu verkaufen gehabt hätte.
Hätte, sollte, müßte.
Er ist aber eben Jammer-Martin und macht das Meiste falsch. So traf er auch bei der heutigen für ihn extrem wichtigen Rede mal wieder den falschen Ton, war nicht in der Lage die frustrierten Genossen emotional zu packen.
Nach einhelliger Einschätzung aller Beobachter rettete ausgerechnet die linke Andrea Nahles dem Seeheimer Schulz mal wieder den Hintern.
[…..] Nahles rettet Schulz
Sie ringen und sie streiten. Sie tun sich schwer. Parteichef Schulz überzeugt kaum. […..]
Weil spricht von Verantwortung. Die SPD müsse entscheiden, ob sie auch mit diesem wirklich schlechten Wahlergebnis von 20,5 Prozent Verantwortung übernehmen könne. Er sage Ja - und zwar aus "tiefer persönlicher Überzeugung". Man könne den Menschen schließlich nicht sagen: "Sorry, wir kriegen's nicht hin, ihr müsst nochmal wählen." Für einen Stephan Weil ist das schon Leidenschaft pur.
[…..] Dann kommt Andrea Nahles. Sie habe nicht Angst vor Neuwahlen, ruft die Fraktionschefin in den Saal. Aber sie habe Angst vor den Fragen der Menschen, wenn es zu einer Neuwahl käme. Die Wähler würden fragen, warum die SPD erneut mit einem Programm antrete, von dem sie bei einer Neuauflage der Großen Koalition 80 Prozent hätte umsetzen können. "Die Wähler zeigen uns einen Vogel." Mache die SPD etwa nur noch Politik, wenn sie die absolute Mehrheit bekomme? "Das ist doch Blödsinn, verdammt noch mal." So viel Applaus ist selten nach einem Redebeitrag an diesem Nachmittag. So viel Kampf auch. Und dann gibt sie noch ein Versprechen, das in den Ohren der Union wie eine Drohung klingen muss: "Wir werden verhandeln, bis es quietscht."[….]
Kein einziger SPD-Delegierter ist Fan einer Groko, das dritte Mal die CDU-Chefin zur Kanzlerin zu machen, noch dazu mit der bekannten Erfahrung anschließend gerupft dazustehen, ist unbeliebter als Fußpilz und Mundfäule zusammen.
Es ist daher leicht für die Kühnert-Fraktion für ein „Nein“ Stimmung zu machen.
Sie sind mehrheitlich aber dennoch gescheitert, weil sie keine Alternative bieten.
In dem Punkt hat Martin Schulz Recht; einfach nur „Nein“ ohne irgendeine weitergehende Vorstellung reicht nicht.
Diejenigen, die von einer Rückbesinnung auf „alte, linke Werte“ der SPD träumen und meinen man müsse nur konsequent wieder Arbeitnehmerinteressen vertreten, vergessen, daß es diese „einfachen Arbeitnehmer“ kaum noch gibt.
Ja, das jetzige SPD-Führungspersonal ist grottig schlecht, aber in allen anderen Europäischen Staaten haben es Sozis genauso schwer, verlieren Wahlen, lösen sich teilweise auf, weil es ihre Klientel nicht mehr gibt.
Vom intensiven „die Hände in den Schoss legen“, wie es die Groko-Gegner jetzt verlangen, wird es wieder zu linken Mehrheiten in den Parlamenten kommen.
[….] Der Trend ist eindeutig. Kam das linke Lager aus SPD, Grünen und PDS bei der Bundestagswahl 1998 gemeinsam auf 52,7 Prozent, schafften sie es im Herbst 2017 nur noch auf 38,6 Prozent, wobei sich die Frage stellt, ob die Grünen nach erfolgreicher Özdemisierung überhaupt noch zum linken Lager gezählt werden können. Das rechte Lager verbesserte sich im selben Zeitraum von 41,4 Prozent (Union und FDP) auf 56,2 Prozent bei der letzten Bundestagswahl (nun inklusive AfD, aber noch ohne die Grünen). Deutschland war nie so weit von einem Bundeskanzler mit linker Agenda entfernt wie heute.
Der Zeitgeist ist rechts, und der Niedergang der politischen Linken scheint sich nicht stoppen zu lassen – weder in Deutschland noch in den anderen Staaten Europas. [….]
(DER SPIEGEL, 20.01.20178, s.16)
Es ist ein Elend überall in den westlichen Demokratien. Es gibt nur noch sechs sozialdemokratische Regierungschefs unter den 28 EU-Staaten.
Trump, Brexit, Polen, Ungarn, Tschechien und in Italien wollen sie demnächst wieder Silvio Berlusconi als Ministerpräsident.
No-Groko-Kühnert hat eben leider auch keinen Plan was nach einem Nein kommen soll.
[….] Es ist eine Politik nach dem Brexit-Prinzip: Erst mal Nein sagen – und dann schauen, wie es weitergeht. Woher wissen die GroKo-Gegner denn, dass sich die Partei in der Opposition besser erneuern lässt als in der Regierung? In den Oppositionsjahren zwischen 2009 und 2013 hat das jedenfalls nicht geklappt. […..]
(DER SPIEGEL, 20.01.20178, s.16)
Nicht nur hat eine SPD-Erneuerung damals schon gar nicht geklappt, sondern sie hat insbesondere mit Nahles als Generalsekretärin und damals für Programmatik Verantwortliche nicht geklappt.
Warum sollte eine Sozi-Erneuerung in der Opposition 2018 unter deutlich schlechteren Rahmenbedingungen und mit einem Führungspersonal, das bereits seine Unfähigkeit bewiesen hat, nun auf einmal klappen?
Es gibt aber tatsächlich vier gewichtige Argumente, die für eine Groko sprechen, auch wenn sie der SPD nicht zwangsläufig helfen werden.
1. Da ist die mangelnde parteipolitische Alternative, denn anders als 2013 stehen keine Grünen bereit, die bei einem SPD-Nein eine Regierung bilden könnten.
2. Da ist das grottige nationalkonservative Unions-Personal aus Scheuer, Dobrindt und Span, welches in einer Minderheitsregierung Deutschland in der Welt vertreten würden.
3. Da ist die extrem angespannte internationale Lage, die eine stabile kräftige deutsche Regierung verlangt.
4. Da ist die Möglichkeit für die Schwächsten in der Gesellschaft JETZT deutliche Verbesserungen zu erreichen, die sie mit CDU/CSU allein nicht bekämen.
So ungeeignet Martin Schulz als Parteichef ist; so hat er doch auch manchmal Recht:
[…..] Die letzte Große Koalition hat sich allein schon für den Mindestlohn gelohnt. Er hat das Leben Hunderttausender Menschen verändert. Ich bin in die Politik gegangen, um die Welt zu verbessern, nicht um mich wohlzufühlen. Viele sagen ja jetzt: Lasst die anderen regieren, dann können wir in vier Jahren machtvoll angreifen. Mir ist das zu taktisch. Ich will nicht, dass die Altenpflegerin vier Jahre lang auf bessere Arbeitsbedingungen wartet, nur damit sich die SPD wohlfühlt. [….]
(Martin Schulz im SPIEGEL Nr 4/2018, s.21)
Ein Argument, welches man nicht leicht vom Tisch wischen kann.
Die SPD mag ja schlecht sondiert haben, aber sie erreicht auch nicht gar nichts. Sie bereitet der CDU schon Bauschmerzen und kann einiges an Verbesserungen für die sozial Schwachen rausholen, das diese Menschen bei einem Nein zur Groko nicht bekämen.
Ob ihres wirklich schlechten Personals und der perfiden Merkel-Methode alle Erfolge für sich zu absorbieren, glauben viele ehemalige SPD-Wähler, es mache gar keinen Unterschied, ob die SPD mitregiere. Sie fühlen sich verraten und verkauft. Sie glauben, die SPD würde sich ja doch nur nach der CDU und den Interessen der Wirtschaft richten.
Das stimmt allerdings nicht.
[….] SPD-Erfolge, die kaum jemand kennt
Die SPD hat die Große Koalition in vier Jahren prägend mitgestaltet. Doch die wenigsten ihrer Erfolge werden vom Wähler mit den Sozialdemokraten verknüpft. […..] In der Tat gehen viele der sozialpolitischen Reformen aufs Konto der SPD. Beispiel 1: der gesetzliche Mindestlohn, sicher das sozialdemokratische Projekt par excellence. Seit 2015 gibt es mehr Geld für einfache Arbeitnehmer, die bisher von ihrem Lohn kaum leben konnten. Zu Beginn mindestens 8,50 Euro für fast alle – mehr Arbeiterpartei geht ja kaum. […..]
Und mit Nahles hatte die SPD eine durchsetzungsfähige Ministerin am Kabinettstisch. Eine, die sich nicht nur über den Mindestlohn freuen konnte, sondern auch über die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren. Ein Lieblingsprojekt der SPD. […..]
Ein weiteres Beispiel: die Ehe für alle. Von der SPD lange gefordert, kurz vor der Wahl im Bundestag beschlossen.
[…..] Mietpreisbremse, Frauenquote und so weiter - alles ganz passable Projekte mit sozialdemokratischer Handschrift. Es steckte viel SPD in dieser GroKo. Der Wähler dankte es der SPD trotzdem nicht. […..][…..]
Angela Merkel hat in den Jahren ihrer Kanzlerschaft eine Kunst zur Perfektion gebracht: Erfolge des politischen Partners – wahlweise auch des Gegners – für sich zu vereinnahmen. Beim Mindestlohn war Merkel anfangs eine entschiedene Gegnerin:
"Es wird diesen Mindestlohn nicht geben."
Am Ende hob sie im Bundestag trotzdem die Hand für das Mindestlohn-Gesetz. Auch die Ehe für alle war ein typischer Fall. Merkel wollte sie nicht, stimmte im Bundestag auch dagegen. Trotzdem blieb bei vielen hängen: Angela Merkel hat das möglich gemacht. […..]
Ob die SPD eine weitere Groko überlebt oder nicht, weiß ich nicht.
Es kann sein, daß das gründlich schief geht und wir bei der Bundestagswahl 2021 wirklich noch hinter der AfD landen.
Es gibt aber keine vernünftige Alternative.
Sich komplett zu verweigern könnte erst recht in ein Desaster führen.
In einer Groko kann die SPD aber immerhin etwas durchsetzen und die Politik in ihrem Sinne beeinflussen.
Das sozialdemokratische Zeitalter ist ohnehin vorbei.
[…..] Auch die große Gegenwartsbeschreibung des Kultursoziologen Andreas Reckwitz, […..] gibt der Linken nur wenig Anlass zur Hoffnung. Spätmoderne Gesellschaften feierten das Besondere, so Reckwitz, der Durchschnittsmensch mit seinem Durchschnittsleben zähle nicht mehr. Das gute Leben entscheide sich nicht mehr an der Waschmaschine oder dem Auto, sondern an der besonderen Reise oder dem restaurierten Oldtimer.
Die Bruchlinie, die die europäischen Gesellschaften teile, verlaufe zwischen den neuen Mittelschichten, den Gewinnermilieus des neuen, kreativen Kapitalismus, die in der ganzen Welt zu Hause seien und ihr Leben wie ein Kunstwerk inszenierten – und den alten Mittelschichten, den Handwerkern, Ladenbesitzern und kleinen Angestellten, die sich davon abgeschnitten fühlten. Die auf dem Land oder in Kleinstädten leben. […..] Für Sozialdemokraten und viele andere linke Parteien sind das schlechte Nachrichten. Denn sie erreichen weder die eine noch die andere Klasse. Die einen wählen grün oder liberal, weil sie sich dort als besondere Individuen ernst genommen fühlen. Die anderen wenden sich von der Politik ab oder gleich den populistischen Bewegungen zu, bei denen sie ihre Abneigung gegen die neuen Eliten gespiegelt sehen. [….]
(DER SPIEGEL, 20.01.2018, s.18)
Wahlsiege des linken oder linksliberalen Lagers kann es in westliche Demokratien meiner Meinung nach im Moment nur geben, wenn es einen sehr charismatischen, jungen, frischen, gutaussehenden Kandidaten gibt, den viele mögen. Dazu braucht es aber einen Macron oder Trudeau.
Und so einen haben wir in Deutschland in keiner Partei.
Das ist die Chance der Rechten und Konservativen. Für sie tickt der Zeitgeist. Sie werden auch ohne einen strahlenden Kandidaten und ohne ein sinnvolles Parteiprogramm gewählt.