Betrachtet man die sozialen Medien als eine Form der direkten demokratie, als eine technische Möglichkeit, daß jeder ungefiltert mitredet, wünscht man sich ein Elitensystem mit altem Establishment zurück.
Oder zumindest eine zentralistische Struktur wie in Frankreich, das üblicherweise nur hochgebildete Absolventen der Elite-Uni ENA in den Élysée-Palast gelangen lässt.
[….] Trump lügt immer noch. 1628 falsche oder irreführende Aussagen seit Amtsantritt zählte die „Washington Post“.
Er ist noch immer labil. Wutausbrüche, meist durch Kränkung verursacht, sind täglich zu beobachten.
Er ist der erste Twitter-Präsident geworden, Trump regiert via Twitter.
Eine subjektive Top-drei-Auswahl:
1. Why would Kim Jong-un insult me by calling me „old“ when I would NEVER call him „short and fat“? Oh well, I try so hard to be his friend – and maybe someday that will happen!
2. Despite the constant negative press covfefe. (Dies ist eines der offenen Rätsel des Jahres 2017: Was heißt „covfefe“?)
3. Are you allowed to impeach a president for gross incompetence? (Dieser letzte Tweet stammt vom 4. Juni 2014.)
Trumps Twitterei fesselt das Publikum, aber sie schafft Ernsthaftigkeit ab; der Präsident brüllt seinen 43,5 Millionen Followern halt etwas entgegen, und die tragen es entweder begeistert weiter oder brüllen zurück.
Er wird noch immer unterschätzt, von politischen Gegnern und vielen Medien (siehe auch Seite 22).
Schließlich: Die Demokratie ist nicht gefestigt. Sie wird weltweit attackiert und untergraben; soziale Netzwerke wie Facebook, die während des Arabischen Frühlings als Demokratiebringer gefeiert wurden, bringen auch Autokraten ins Amt. Die Demokratie als triumphales Finale gesellschaftlicher Entwicklung: ein schöner Traum. Sie muss verteidigt, muss ständig neu durch Leistung und Integrität begründet werden.[….]
Das allgemein zugängliche Internet fegt die Eliten hinweg.
Eliten, die zwar in einiger Hinsicht versagt hatten, die nun aber von Proleten, Egoisten, Dummköpfen, Ignoranten, Psychopathen, Rassisten ersetzt werden.
Erfolgreich wurden in den USA die RINOs (Republican In Name Only) ausgemerzt. Stattdessen kamen die Grand Old Perverts.
Ein völlig ungebildeter Trash-TV-Junkie rühmt sich seiner Bildung.
[….] Vier Stunden täglich verbringt der US-Präsident vor der Glotze, manchmal auch acht. Daraus leitet Donald Trump seine Politik ab. [….]
Ein seniler Depp mit Vorschul-Vokabular rühmt sich seines Redetalents.
13 Monate nach seinem Wahlsieg übertrifft Trump die schlimmsten Befürchtungen, sitzt aber fest im Sattel.
Seine Republikaner stehen zu ihm, kontrollieren weiterhin absolute Mehrheiten in House, im Senat und unter den Gouverneuren.
Die Gründe für ein Impeachment sind überwältigend, führen aber aufgrund der Hörigkeit der konservativen politischen Klasse nicht zu einem solchen Verfahren.
Die Doppelmoral der Grand Old Pervert-Partei ist so nachhaltig etabliert, daß dem Pussygrabber in Chief nichts passieren kann; die amerikanische Politikwissenschaftlerin Melissa Deckman erklärt wieso das so ist. Tribalism ist der Schlüssel.
[…. ] Im Grunde hat [die Debatte über sexuelle Belästigung] mit dem Fall Clarence Thomas begonnen. Er wurde 1991 zum Richter am Obersten Gerichtshof ernannt, obwohl ihn eine frühere Mitarbeiterin beschuldigt hatte, sie sexuell belästigt zu haben. [….] Politik und freie Wirtschaft funktionieren in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich. Die Unterhaltungsbranche versucht mit den schnellen Entlassungen auch, Zuschauer und damit Kunden zu halten. In der Politik funktioniert das anders. Dort entscheiden die Wähler, welches Verhalten sanktioniert wird. Und dabei spielen dann eben immer auch Parteizugehörigkeiten und Machtkalkül eine Rolle.
[….] In der Politik werden solche Vorwürfe dann oft als Verleumdungskampagne abgetan, die von der politischen Gegenseite lanciert wird. Viele Republikaner gehen außerdem nicht so weit, sich gegen einen Kandidaten zu stellen, der von Donald Trump unterstützt wird. Sie fürchten um ihre eigenen Sitze im Kongress und wollen Trumps Kernanhängerschaft nicht gegen sich aufbringen. [….]
Kay Ivey, die Gouverneurin von Alabama [….] ruft trotzdem dazu auf, Roy Moore zu wählen, weil sie die republikanische Mehrheit im Senat um jeden Preis erhalten will. Das ist logisch nicht mehr nachvollziehbar. Aber es wird mit rhetorischen Tricks scheinbar plausibel gemacht. Zum Beispiel, indem man darauf hinweist, dass auch die politischen Gegner nicht moralisch einwandfrei sind. [….] Eine Umfrage unter Evangelikalen ergab im Jahr 2011, dass nur 30 Prozent der Meinung waren, dass eine Person, die im Privatleben unmoralisch handelt, in ihrer öffentlichen Funktion trotzdem moralische Entscheidungen treffen kann. 2016, kurz vor der Wahl, haben wir die Umfrage wiederholt und plötzlich waren es 72 Prozent, die das glaubte. Die Argumente, die Politiker und Kirchenvertreter anführen, um die Republikaner trotz Skandalen als einzig wählbare Partei zu präsentieren, fruchten also.[….]