Nach Trump bin ich mehr denn je davon überzeugt, daß man sich bei der politischen Meinungsbildung nicht auf das „free internet“ verlassen darf.
Man versorge sich stattdessen mit seriösen Quellen, die mit ausgebildeten Journalisten, Dokumentaren und Rechercheuren arbeiten.
Wer partout keine gedruckten Erzeugnisse zur Hand nehmen will, kann gern e-paper beziehen.
Die sehr gute und sehr ausführliche aktuelle SPIEGEL-Ausgabe zum US-Wahlschock, zieht die Blende sehr weit auf, analysiert die weltweite Lage.
Was ging eigentlich schief bei der Globalisierung, wer wurde wieso abgehängt? Was wurde versäumt zu tun, welche Optionen liegen nun noch auf dem Tisch?
Vor zehn Jahren sah es doch wirklich nicht so schlecht aus.
Wer hätte sich 2006 vorstellen können, dass ein so merkwürdiger Milliardär wie Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden würde? Wer hätte geglaubt, dass die Briten die Europäische Union verlassen würden? Wer hätte es für möglich gehalten, dass in Deutschland eine rechtspopulistische Partei bei mehreren Wahlen zweistellige Ergebnisse erzielen könnte?
Niemand. Vor zehn Jahren war die Welt noch eine andere. 2006 erlebte Fußball-Deutschland sein Sommermärchen, damals ungetrübt von
Korruptionsvorwürfen, und präsentierte sich als weltoffener Gastgeber. Russland gehörte noch der G-8-Runde an und lud zum Gipfel nach Sankt Petersburg. Papst Benedikt besuchte die Türkei und meditierte in der Blauen Moschee. In Berlin fand die erste Islamkonferenz statt. Ein Bündnis um Romano Prodi, zuvor EU-Kommissionschef, gewann in Italien die Wahlen gegen den Populisten Silvio Berlusconi. Der internationale Warenhandel wuchs um 9 Prozent, Chinas Wirtschaft um fast 13 Prozent. [….]
(DER SPIEGEL, 46/2016, s. 52)
Dann aber haben wir, die reichen Staaten, vollständig versagt. Im neoliberalen Globalisierungswahn, glaubten wir die Märkte einfach machen lassen zu können.
Wenn es der Wirtschaft gut gehe, investiere sie, schaffe mehr Jobs und mehr Nachfrage. Das käme allen zu Gute.
In Amerika nennt man das Trickle-Down-Economics:
Sozialleistungen kappen, Deregulieren, Deregulieren, Deregulieren und schließlich mit gewaltigen Steuersenkungen für Konzerne und Superreiche das Wachstum ankurbeln.
Sozialleistungen kappen, Deregulieren, Deregulieren, Deregulieren und schließlich mit gewaltigen Steuersenkungen für Konzerne und Superreiche das Wachstum ankurbeln.
2009, sogar noch nach der Monsterfinanzkrise von 2008, dachte sich die Deutschen, es wäre schlaue eine radikal neoliberale Kraft, die einseitig die Interessen der Superreichen vertrat, in die Regierung zu wählen.
Die FDP zog mit 15% in die Bundesregierung ein, Westerwelle, Rösler und Brüderle beglückten ihre Spender und Lobbyisten.
Diese Politik, die leider auch weltweit betrieben wurde, führte zu der krassen Ungerechtigkeit, die AfDler, Trumpettes, Brexiteers und Le-Pen-Fans düngte.
Es bildete sich eine bizarre Querfront aus ganz Links und ganz rechts, die nun jegliche Globalisierung und jeden Welthandel ablehnt.
Heil wird gesucht in Renationalisierung, Merkantilismus, Chauvinismus, Abschottung. Schuldige werden in Minderheiten und Schwachen ausgemacht: Flüchtlinge, Mexikaner, Schwarze, Schwule, Türken.
Stattdessen hätte man den Kapitalismus zähmen müssen, wie es die hellsichtige Gräfin Dönhoff schon vor 20 Jahrengefordert hatte.
Sie haben Xenophobie, Rassismus und Nationalismus herbeigewählt und dem Ende von Gleichberechtigung und sozialem Denken, auch von Klimaabkommen und Krankenversicherungen, zugestimmt. Sechzig Millionen Menschen sind einem Demagogen gefolgt, der wenig für sie tun wird. [….]
Tragisch, dass Clinton Konzepte gegen die Wurzeln des Hasses im Angebot hatte: Mindestlohn und Investitionen in Infrastruktur und Bildung. Tragisch ist das, weil es zu spät für seriöse Pläne war.
(Klaus Brinkbäumer, der SPIEGEL 46/2016, s..6)
Gewählt wurde vom kleinen Mann gegen die Interessen des kleinen Mannes.
Gewählt wurde republikanische Wirtschaftspolitik pur.
Trickle Down. Gewaltige Steuerentlastungen für die Superreichen und nicht etwa eine Steuerbelastung für Superreiche, wie sie die Demokraten verlangt hatten.
Ganz blöd.
[…] Der Plan klingt famos: Donald Trump will Milliarden in die Wirtschaft pumpen, die Steuern senken - und die Schulden reduzieren. Das kann nicht funktionieren. Der Welt droht ein ökonomischer Schock.
[…] Der gewählte Präsident tritt an mit dem Versprechen, die Steuern zu senken und die Staatsausgaben zu erhöhen. Ein großes Infrastrukturprogramm soll einen Bauboom auslösen. Ach so, nebenher will er den amerikanischen Staat auch noch entschulden. Wie das alles zusammenpasst, ist schleierhaft.
Bei aller Unsicherheit, die die Machtübernahme Trumps für die Weltpolitik bedeutet, ist eines sicher: Wenn er seine kruden finanzpolitischen Ankündigungen aus dem Wahlkampf auch nur teilweise wahr macht, ist die Zeit ultraniedriger Zinsen vorbei. Die Folgen wären weltweit spürbar. In einer Welt extrem hoher Verschuldung müssen wir uns auf schwere ökonomische Schocks einstellen. […]
Daß Trickle Down nicht funktioniert wurde seit Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen.
Gegenwärtig haben Unternehmen sogar ein diametral entgegengesetztes Problem.
Sie haben derartig viele Gewinne, die sie dank freundlicher Steuergesetze und Steueroasen auch nicht schmälern müssen, daß sie diese schon verzweifelt in Billionenhöhe parken müssen, weil sie keine Ahnung haben was sie damit anfangen sollten. Wohin bloß mit all dem Geld?
Es wird wohl nicht bei den ehemaligen Stahlarbeitern im Rustbelt landen.
So kauft die deutsche Bayer AG für 66 Milliarden Dollar den umstrittenen Saatgutkonzern Monsanto. […] Ein Gewinner steht schon fest: Monsanto-Boss Hugh Grant hat sich eine sogenannte Change-of-Control-Klausel in den Vertrag schreiben lassen. Er kann sich nach der Übernahme mit 135 Millionen Dollar verabschieden.
[…] Gleichzeitig wissen die Unternehmen mit dem vielen Geld, das sie in der globalen Wirtschaft verdienen, nichts Produktives anzufangen. Warum sonst sollten sie es in Steueroasen bunkern oder für den Rückkauf eigener Aktien ausgeben (was deren Kurs treibt und somit den Vermögenden zugutekommt), statt es zu investieren? Auch das spricht dafür, dass der Wettbewerb im globalen und digitalen Zeitalter nicht wirklich funktioniert.
(DER SPIEGEL, 46/2016, s. 57)
Von wegen Investitionen in Arbeitsplätze.
Allein 30 große US-Konzerne (darunter Apple, Pfizer, Microsoft, Google und IBM) haben derzeit 1.650 Milliarden Dollar in Niedrigsteuerländer wie Panama oder den Bermudas geparkt, weil sie vor lauter Geld gar nicht mehr wissen was sie damit tun sollen.
American Fortune 500 corporations are avoiding up to $695 billion in U.S. federal income taxes by holding $2.4 trillion of “permanently reinvested” profits offshore. In their latest annual financial reports, 27 of these corporations reveal that they have paid an income tax rate of 10 percent or less in countries where these profits are officially held, indicating that most of these monies are likely in offshore tax havens. [….]
Wenn besorgte und Wutbürger glauben mit der Wahl von antisozialen, antisolidarischen und stramm nationalistischen Steuersenkungskonzepten dagegen angehen, erreichen sie das Gegenteil.
Die Tragik besteht darin, daß die gemäßigte Linke, die in Europa und Nordamerika zusammenarbeiten müßte, um gemeinsam Steueroasen auszutrocknen und die Finanzströme abzuschöpfen, nicht an die Macht kommen, weil sie derzeit von strikt Charisma-freien unglaubwürdigen Typen repräsentiert werden.
Gabriel und Hollande haben sich beide selbst um Kopf und Kragen regiert und geredet. Wer soll ihnen noch trauen?
Und die sonstigen sozialdemokratischen Führungsfiguren in der EU?
Von denen kennt man noch nicht mal die Namen?
Wo sind die eigentlich?
Von denen kennt man noch nicht mal die Namen?
Wo sind die eigentlich?